Wellen (2021)
WELLEN ist das Auf-und Abschwellen von Begebenheiten, ein zerfließen von Zeit, die sich an den Rändern als gegenwärtiges kräuselt. Das Solo entfaltet sich als fluider Reigen unaufdringlicher Gesten und Bewegungen und ist gleichzeitig auf der Suche nach Störungen und Unterbrechungen. Es erforscht unterschiedliche Möglichkeiten, am Geschehen beteiligt zu sein, es zu beeinflussen oder davon beeinflusst zu werden. Eine Frau steht dabei Inmitten. Sie wartet, beobachtet, greift ein. Stets ist sie, wie alles andere im Raum, nur ein Teil des Gesamten.
Mit WELLEN intensiviere ich meine Idee von einer Aufführungspraxis als fluider Struktur, in der sich Bewegungen, Handlungen und Soundkompositionen intuitiv und situativ choreografieren und arrangieren. So lässt WELLEN die Grenzen zwischen Tanz, Sound und Installation durchlässig werden und fordert die Zuschauenden dazu auf, ihre eigenen Erfahrungen zu machen, indem einzelne Details herangezoomt, andere vernachlässigt werden können.
Konzept, Tanz, Sound, Raum: Mareike Buchmann
Raum, Objekte: Theresa Lawrenz
Begleitendes Auge: Robert Krajnik
Musikalische Assistenz: Mirko Danihel
Fotos, Trailer: De-Da Production
Daten
Premiere am 5.11.2021 Walkmühle Wiesbaden
Gefördert durch: Kulturamt der Stadt Wiesbaden, das Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Hessischen Kulturstiftung
Stille Wellen Fallen
Ein Text zu Wellen – einer Tanzperformance von Mareike Buchmann
von Lena Kunz
Ein bewegter Raum
„As life experiences deepen, art expression expand.
As art expression deepens, life experiences expand.”[1]
Stille
Der Raum, den du betrittst, ist warm und sanft geschwungen. Angenehme Pastell Töne schimmern, leuchten, glitzern. Ein großes Stück Stoff nimmt die gesamte vordere Ecke des Raumes ein. Schlägt leichte, unregelmäßige Wellen und erscheint dir so lebendig, dass es nur das Meer sein kann. Eine Frau liegt auf dem Rücken. Wird behutsam getragen. So jedenfalls erscheint es dir. Ganz behutsam und ganz langsam. In Stille. Du wirst ruhig. Spürst wie du ein und ausatmest. Hörst wie du ein und ausatmest. Ein Aus. Immer im Wechsel. Ein Aus. Dann beginnt die Performance, was du eigentlich nur bemerkst, weil das Publikum leise wird. Für dich hat es nämlich längst schon begonnen.
In unserer schnelllebigen Zeit, in der wir permanent Impulsen von außen ausgesetzt sind, evoziert das Performance-Solo Wellen von Mareike Buchmann mit seiner gedehnten Zeitlichkeit das Gefühl von einem Ort, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Oder vielleicht auch gerade wegen seiner Stille, seiner Langsamkeit, seiner Konsequenz, genau der Ort ist, an dem wir sein wollen, sollen. Der Ort, an dem wir fast vergessen haben zu sein. Zu sein, mit unserem Atmen, unserer Körperlichkeit, unseren Empfindungen, Gedanken, Gefühlen, unseren Beziehungen zu Raum, Objekten, anderen Körpern.
Dieser Ort kann hier oder dort sein. Jetzt, damals oder später.
Damals.
4´33´´ - Vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden ist ein Musikstück des amerikanischen Komponisten
John Cage aus dem Jahr 1952. Während der gesamten Spieldauer ist kein einziger Ton zu hören.
Das Stück spielt in Stille und lenkt dadurch die Aufmerksamkeit auf die Geräusche,
die in unserer Umgebung und in uns selbst stattfinden.
Der Postmodern Dance, die US-amerikanische Tanzavantgarde, ging aus der Judson Church-Bewegung hervor, einer losen Gruppierung junger Tänzer*innen und Choreograf*innen, wie Trisha Brown, Yvonne Rainer, Steve Paxton und viele andere, die in New York City in den 60er Jahren Tanz auf neue Art und Weise praktizierten und mit
verschiedenen Präsentationsformen experimentierten: Tanz wurde zur Konzeptkunst. Der Postmodern Dance wurde maßgeblich durch die Arbeiten von John Cage mit dem Choreografen Merce Cunningham in den 1950er Jahren beeinflusst. Sie erforschten die Koexistenz von Tanz und Musik. So wurden beispielsweise Tanz und Musik unabhängig voneinander entwickelt und trafen erst zur Aufführung das erste Mal aufeinander. Zentraler Bestandteil ihrer Kollaboration war zudem das Arbeiten mit Stille.
Wahrnehmung
Jetzt. Sie steht barfuß inmitten des wellenschlagenden, fließenden, schimmernden Stoffes. Dreht sich impulsartig im Kreis. Zwirbelt mit den Füßen den Stoff zu dreidimensionalen Schneckenhäusern ein. Dynamikwechsel. Sie trinkt roten Saft aus einer kunstvoll gestalteten Schale. Stille. Dynamikwechsel. In raumgreifenden Bewegungen schwingt sie ihre Arme mal impulsartig, zunehmend mit spielender Leichtigkeit vor und zurück. Hoch und runter. Vor und zurück. Hoch und runter.
Was dann? Wie weiter? Wohin nimmt sie dich mit? Auf die Suche? Es bleibt offen.
Die Aufführungspraxis als eine fluide Struktur. Das situative Arrangieren und Choreografieren von Körper, Raum, Zeit: Bewegungen, Handlungen und Soundflächen fließen ineinander, miteinander, manchmal auch nebeneinander. Jeder Bewegung kann etwas ganz anderes folgen. In jedem Moment kann der Bewegungsfluss in Stille oder ein langsames Tasten in ein kraftvolles Stoßen münden.
Das Arbeiten mit Improvisation, Zufall und Instruktionen sind zentrale choreografische Prinzipien im Postmodern Dance. Angeregt durch die Fluxus- und Happeningbewegung entwickelt sich ein Verständnis von Choreografie als ein „Akt der Wahrnehmung, in dem Performer*innen wie Zuschauende gemeinsam Bewegung erleben.“[2]
Improvisation wird zur Aufführungspraxis.
Dabei lassen sich verschiedene Herangehensweisen beobachten: Merce Cunningham beispielsweise interessierte sich primär für das Experimentieren mit dem Zufall, der das Moment der Unbestimmtheit und Unvorhersehbarkeit in den Vordergrund rückte.
Anna Halprin wiederum arbeitete mit verschiedenen Möglichkeiten der Strukturierung von Improvisation in Form von Instruktionen und Regeln, die einen Rahmen festlegten, innerhalb dessen agiert werden konnte.
Details
Hier. Dein Blick darf wandern, abschweifen. Zerstreut sich immer wieder im Laufe des Abends. Ist mal hier, bei der sich kräuselnden Fingerspitze, bleibt mal dort bei der gewundenen Stofffalte haften. Beobachtet wie das Gewicht vom einem auf das andere Beim verlagert wird. Wie sich Rippenbögen ausdehnen und wieder zusammenziehen. Wie ein Fuß sich gemächlich über den Boden rollt oder wie die Balance gesucht, gefunden wird. Wie sich Handlungen wiederholen und verändern. Dein Blick zerstreut sich im Geschehen, Gedanken wandern. Immer wieder zurück zur eigenen Körperlichkeit: Auf dem Stuhl sitzend, beide Füße auf den Boden gestellt, Hände in den Schoß gelegt, Blick in den Raum gerichtet. Einatmen. Ausatmen.
Wellen experimentiert mit einem minimalistischen Bewegungsmaterial wie tasten, schwingen, falten, ausdehnen, atmen, sitzen, stehen, gehen sowie mit Handlungen wie anziehen oder trinken. Der Charakter der Bewegungen bleibt für die gesamte Dauer der Performance unaufgeregt, situativ und spezifisch. Immer wieder geht es darum Etwas zu suchen oder zu finden. Etwas zu wiederholen oder zu verändern.
Der Tanzkörper des Postmodern Dance ist nicht in einer einheitlichen Technik trainiert oder durch eine festgelegte Art und Weise sich zu bewegen bestimmt. Vielmehr löst er sich von der Virtuosität einzelner Tanztechniken und begibt sich auf die Suche nach den vielfältigen Möglichkeiten der Erforschung, Verfremdung sowie Inszenierung von Alltagsbewegungen wie Laufen, Fallen, Sitzen oder Liegen.
Trio A – The Mind is a Muscle, Part 1 ist ein Solo von Yvonne Rainer,welches als eines der
zentralen Tanzstücke der 1960er Jahre dem Postmodern Dancezugeordnet wird.
Das Stück basiert auf scheinbar einfachen Bewegungsabläufen,
die den Körper in gleichbleibender Dynamik falten,
knicken und die Glieder einzeln, mit leichtem Schwung in den Raum bewegen.
Materialitäten
Dort. Alles bekommt seinen*ihren Raum. Alles ist miteinander verbunden. Immer wieder werden verschiedene Möglichkeiten erforscht im Raum zu sein, Raum zu geben, sich Raum zu nehmen oder etwas dazwischen. Es findet eine Interaktion zwischen den Objekten und dem Körper statt. Eine Annäherung in Beweglichkeit.
Der Stoff. Die geschwungene, wellenartige Materialität des Stoffes. Du weißt ganz genau, wie es sich anfühlen würde den Stoff zwischen deinen Fingern zu halten. Ihn behutsam mit deinen Fingerspitzen zu berühren. Den glänzenden, glatten, vielleicht auch etwas kühlen Stoff durch deine Finger gleiten zu lassen. Eine haptische Wahrnehmung mit den Augen.
Die Skulpturen. Geschwungene, durchsichtige Objekte aus geschmolzenem Plastik der Künstlerin Theresa Lawrenz, scheinen die Farbigkeit sowie die Bewegungen des Raumes aufzunehmen. Wirken organisch, sind dynamisch in ihrer eigenen Beweglichkeit. Sitzen, liegen oder hängen im Raum. Als wären sie Körper, die aufnehmen, wahrnehmen, was in ihrer Umgebung passiert.
Das Theremin. Ein futuristisches Raumschiff , das Science-Fiction Assoziationen hervorruft und bei Star Trek eine große Rolle spielen könnte. Eine magische Atmosphäre geht von dem Instrument aus. So viel steht fest.
Ein Duett entfaltet sich zwischen dem Instrument und Mareike Buchmann. Eine feinfühlige Annäherung. In zarten Bewegungen tasten sich einzelne Fingerglieder an das Instrument heran. Tasten sich vor. Erforschen, wie nah sie herankommen können und welche Töne dabei entstehen. Töne, wie das hohe Piepen eines Vogels oder das tiefe Schnurren eines dicken Katers, der sich behaglich auf deinem Schoß ein gekugelt hat. Dann wieder sehr melodische Töne. Danach etwas dazwischen. Vielschichtige Soundflächen, nehmen sich Raum. Nehmen sich auch wieder zurück. Nicht zur Musik tanzen, vielmehr inmitten und doch neben der Musik entfaltet sich der Körper. Bewegung und Sound stehen in einer direkten Verbindung zueinander, kommunizieren miteinander.
Synergien
Später.
Stille Wellen Fallen.
Sanft
Behutsam
Ohne Hast
In alle Richtungen
Ende offen.
Literatur
Alle Ausführungen und Referenzen zum Postmodern Dance basieren auf folgenden Texten und Büchern, die auf der einen Seite von Tanzwissenschaftlerinnen geschrieben sind, und aus unterschiedlichen Perspektiven, wie zum Beispiel Körperkonzepte (Sabine Huschka), Choreografieverständnisse (Gabriele Klein) oder Improvisationstechniken (Friederike Lampert) sich mit der westlichen Bühnentanzgeschichte beschäftigen. Auf der anderen Seite wurden auch künstlerische Arbeiten (John Cage & Yvonne Rainer) und Bücher von Tänzerinnen des Postmodern Dance (Anna Halprin & Yvonne Rainer) miteinbezogen, um unmittelbarer die Arbeiten und Stimmen einzelner Künstler*innen einzufangen, die nicht mit einer bestimmten theoretischen Brille auf ihr künstlerisches Arbeiten in den 1960er Jahren blicken, sondern dieses vielmehr reflektieren und kontextualisieren.
Die Kombination von verschiedenen Stimmen und Perspektiven finde ich spannend:
Anna Halprin, Making Dances That Matter, 2019.
Friederike Lampert, Tanzimprovisation. Geschichte Theorie Verfahren Vermittlung, 2007, S. 58-63.
Gabriele Klein, Zeitgenössische Choreografie, 2011, S. 46-53.
John Cage: 4´33´´ 1952.
Sabine Huschka, Moderner Tanz. Konzepte Stile Utopien, 2002, S. 228-258.
Yvonne Rainer, Work 1961-73, 2020 und Trio A – The Mind is a Muscle 1966.
[1] Anna Halprin, Making Dances that Matter, S. 10.
[2] Gabriele Klein, Zeitgenössische Choreografie, 2011, S. 53.